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Von Piet van Riesenbeck

GladbachLIVE-Interview Borussia gegen Inter Mailand: War da was, Wolfgang Kleff?

Ulrik Le Fevre (l.), Wolfgang Kleff (m.) und Günter Netzer (r.) laufen zum legendären Gladbacher „Büchsenwurfspiel” ein.

Beginn eines denkwürdigen Abends: Ulrik Le Fevre (l.), Wolfgang Kleff (m.) und Günter Netzer (r.) betreten den Rasen des Bökelbergstadions.

Mönchengladbach - Die Fohlen treten am Mittwochabend (21 Uhr) bei Inter Mailand an. Eine geschichtsträchtige Begegnung. Vor allem ein Aufeinandertreffen ist in Erinnerung geblieben: Das Achtelfinal-Hinspiel im Europapokal der Landesmeister am 20. Oktober 1971 im Gladbacher Bökelberg-Stadion.

Wolfang Kleff erinnert sich an das Büchsenwurfspiel

Fohlen-Legende Wolfgang Kleff (73) war damals seit zwei Jahren Stammtorhüter bei Borussia Mönchengladbach. Im Gespräch mit GladbachLIVE blickt der Kult-Keeper zurück auf einen denkwürdigen Abend.

Borussia Mönchengladbach gegen Inter Mailand. Was fällt Ihnen dazu ein, Herr Kleff?

(lacht) Ein wunderbares Spiel fällt mir dazu ein. Ein grandioses Spiel. Eine italienische Mannschaft die einen zur damaligen Zeit ziemlich unbekannten Provinzklub ziemlich unterschätzt hat. Dieses Spiel ist zu einer Legende in der Geschichte von Borussia Mönchengladbach geworden. Da war der ominöse Büchsenwurf und Boninsegna (Inter-Stürmer Roberto Boninsegna, Anm. d. Red.), der sich fallen ließ – Das bleibt in den Köpfen der Leute. Bei den älteren Leuten, weil sie es mitbekommen haben. Und bei den Jüngeren, weil es ihnen erzählt wurde.

Wie haben Sie die Szene erlebt?

Ich stand ja im Tor und war nicht direkt daneben. Ich hörte auf einmal einen Schrei. Ein Mann lag am Boden, wälzte sich und alle anderen versammelten sich um ihn herum. Der Schiri kam. Dann überreichte einer der italienischen Spieler dem Schiedsrichter die Büchse. Der sah sich die Büchse an und mehr war nicht. Er gab die Büchse dann weiter. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht klar, was daraus entstehen könnte. Erst nach dem Spiel – schon auf dem Weg zur Kabine – haben wir uns schon überlegt, was da noch kommen wird...

Tatwaffe: Inter Mailands Kapitän Alessandro Mazzola (2.v.l.) übergibt dem Schiedsrichter die Cola-Dose.

Inter-Kapitän Alessandro Mazzola (2.v.l.) zeigt Schiedsrichter Jef Dorpmans (m.) die Tatwaffe.

Inter Mailand gewann das Rückspiel in San Siro zunächst mit 4:2. Dann wurde das Hinspiel annulliert. Das Wiederholungsspiel endete torlos. Gladbach war draußen. Ging das mit rechten Dingen zu?

Damals waren die Italiener sehr stark in der UEFA vertreten. Der Verein Inter Mailand hat Protest eingelegt und dann wurde diese Freude etwas gedämpfter, weil wir schon im Nacken hatten: Da kommt noch was auf uns zu.

Wolfgang Kleff wurde mit Borussia Mönchengladbach fünf Mal deutscher Meister.

Wolfgang Kleff lächelt im November 2016 neben einem Wappen der Borussia.

Der niederländische Schiedsrichter Jef Dorpmans sagte später: „Bei den Italienern konnte man seinerzeit fast generell davon ausgehen, dass es sich bei der Aktion um Schauspielerei handelte. Aber ich hatte keine Beweise.“ Was glauben Sie?

Die Italiener waren natürlich zu dem Zeitpunkt für zwei Sachen berühmt: Einmal für den sogenannten Cartenaccio, also alles auf die Abwehr zu setzen. Und für die Schauspielerei – das war bekannt. Gott sei Dank, hat sich das geändert. Aber zu der Zeit war das großartige Schauspielerei. Gegen italienische Mannschaften hat man sehr, sehr ungerne gespielt. Ob dieser Wurf den Kopf getroffen hat, kann ich nicht sagen. Ich bin zwar Zeitzeuge, ich war auf dem Platz, aber ich habe es nicht gesehen. Andere die im Stadion waren, sagen, die Büchse habe ihn gar nicht getroffen. Und er ist einfach liegengeblieben. Er hat drauf spekuliert. Wahrscheinlich aus dem Gefühl heraus, dass wir an dem Abend so überragend gespielt haben.

Die Fohlenelf erlebte an diesem Abend einen ihrer glanzvollsten Auftritte. 7:1 zeigte die Anzeigetafel nach 90 Minuten an. Was hat das Team an dem Tag so beflügelt?

Wir haben damals eine Frische an den Tag gelegt – ohne Berechnung. Die Italiener haben ja damals schon den Cartenaccio gespielt: Hinten dicht machen und nach vorne schaffen wir das schon. Aber wir waren jung, draufgängerisch und von dem Namen „Inter Mailand“ auch ein bisschen angeschoben. Diese Mannschaft hatte ja zu der Zeit schon einen sehr guten Ruf in Europa. Und wir: Kleines Borussia Mönchengladbach – uns hatte noch keiner auf dem Schirm in Europa. Wir haben uns einfach gedankenlos in das Spiel gegeben, um es zu gewinnen. Mit dem Schwung der uns zu der Zeit auch auszeichnete und sehr beliebt machte – nicht nur in Deutschland.

Am Mittwoch kommt es zur Neuauflage des Spiels zwischen Inter Mailand und Gladbach. Hat Borussia mit Inter noch eine Rechnung offen?

Ich denke, das ruft alte Erinnerungen hervor. Die Älteren, die dabei waren, sind jetzt ein bisschen abgeklärter. Aber die Jugend hat diese Geschichte übernommen und die Geschichte vom Büchsenwurf verinnerlicht. Das ist zur DNA von Borussia Mönchengladbach geworden. Die jungen Leute fiebern ja alle drauf hin und vielleicht ist es ganz gut so, dass im Rückspiel – soweit ich weiß – keine oder wenig Zuschauer im Stadion sind. Das könnte noch alte Aggressionen hervorrufen. Aber es ist jetzt schon so lange her – irgendwann muss man auch verzeihen können.

Inter Mailand war damals die dominierende Mannschaft in Italien, reiste mit dem Scudetto im Gepäck nach Mönchengladbach und scheiterte erst im Finale gegen Cruyffs Ajax Amsterdam. Wie sehen Sie die Mannschaft von heute im Vergleich?

Vom Tabellenstand her und von alldem was man hört und liest, ist Inter Mailand in den letzten zwei Jahren wieder etwas besser ins Spiel gekommen in der italienischen Liga. Sie sind wieder besser aufgestellt, haben gute Leute und wollen Juventus natürlich Paroli bieten. Sie haben aber nicht mehr diesen Status der Unbesiegbarkeit, den sie früher hatten. Den hat Juventus jetzt. Inter Mailand ist für mich eine gute Mannschaft, die aber zu schlagen ist. Mit regulären Mitteln wohl gemerkt. Ohne Büchse, ohne alles andere! Sie sind nicht mehr so dominant, wie sie zur damaligen Zeit in Europa waren.

Und Borussia? Wieviel von der legendären Fohlen-Elf steckt in dem Team von heute?

Diese Vergleiche zu früher sind sehr holprig. Das Tempo, das System – es hat sich vieles geändert. Wir hatten damals super Spieler in der Mannschaft. Wir haben heute super Spieler in der Mannschaft. Wenn die an einem guten Tag über sich hinauswachsen, können die das erreichen, was wir erreicht haben: Inter Mailand schlagen. Gladbach hat sich in den letzten zwei Jahren stabilisiert. Wenn die Mannschaft den richtigen Drive nach vorne hat und nicht zu ängstlich vor dem großen Namen ist, hat sie für mich eine sehr große Chance, Inter Mailand zu schlagen. Sie darf nur eins nicht machen: Sich hinten reinstellen – das ist gegen meine Mentalität. Gegen die alte Gladbacher Mentalität.

Was ist ihr Tipp für das Spiel am Mittwoch?

In Mailand? Ich schätze ein Unentschieden. Nein, jetzt muss ich mich selbst korrigieren: Ich sehe keinen Unterschied zwischen Auswärtsspiel und Heimspiel. Die Plätze sind genauso grün, genau so lang, genauso breit. Die Tore ebenfalls. Warum sollen wir auswärts nicht was holen? Ich versuche mich mal in Optimismus und sage, dass wir da auch 2:1 gewinnen können.

Was glauben Sie, wie weit kommt die Borussia im Turnier?

Das ist bei Borussia sehr schwer. Ich habe bei der Europa League letztes Jahr auch gedacht, dass sie gegen Istanbul und Wolfsberg gewinnen. Da war letztes Jahr noch keine Kontinuität drin. Wenn sie mutig spielen, selbstbewusst spielen und ihr Können abrufen, sehe ich sie auf einem guten Weg. Dann können sie das Achtelfinale erreichen.

Und danach?

Und dann kommt es natürlich immer auf den Gegner an: Da können ja dann große Hausnummern wie Chelsea oder Liverpool kommen. Aber das Schöne an der Champions League ist ja: Es sind gehaltvolle Spiele. Spiele die man sonst nicht sieht. Und die sollen die Spieler auch genießen. Ich hoffe, das wird die Spieler beflügeln. Denn sie haben nichts zu verlieren. Sie können nur gewinnen. Sie können neue Geschichten schreiben. Das wäre doch was, oder? Ich will nicht sagen, dass sie unsere Ehre retten sollen, aber sie sollen versuchen ihr Bestes zu tun.