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Von GladbachLIVE Redaktion

Ex-NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück Der Traum von der Meisterschaft mit Gladbach

Der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück (SPD), bei einem Auftritt am 11. September 2013 im Kunstwerk in Mönchengladbach. Steinbrück spricht in der Wahlarena.

Der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück (SPD), bei einem Auftritt am 11. September 2013 im Kunstwerk in Mönchengladbach. 

Die große Bühne hat Peer Steinbrück immer geliebt. Zum seinem 75. Geburtstag (10. Januar 2022) hat der SPD-Politiker jedoch keine Party mit prominenten Gästen gefeiert. „Ich (...) erfreue mich meiner Gesundheit im Familienkreis mit Enkelkindern“, sagt der ehemalige Ministerpräsident und Ex-Bundesfinanzminister der Deutschen Presse-Agentur.

Gladbach: Ex-Finanzminister Steinbrück hat die Borussia im Blick

Gut fünf Jahre nach dem Ende seiner langen Karriere ist Steinbrück, einer der populärsten, aber auch umstrittensten SPD-Politiker, mit sich im Reinen. Auf die Frage, was er bereue oder ihn nachhaltig frustriert habe, antwortet er: „Über gängige, aber auf Dauer ermüdende Querschüsse hinaus haben mich keine größere Enttäuschungen gequält.“

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Auch seine wohl bitterste Niederlage, die verlorene Bundestagswahl als SPD-Kanzlerkandidat 2013, ordnet Steinbrück heute ganz nüchtern ein. „Wahlniederlagen zeichneten sich frühzeitig ab. 2021 gewinnt man mit 25,7 Prozent, acht Jahre zuvor verliert man mit 25,7 Prozent“, resümiert er mit Blick auf den Überraschungssieg seiner SPD mit Olaf Scholz an der Spitze vor gut drei Monaten.

In seinem Element war der in Hamburg geborene Volkswirt, als er als Finanzminister zwischen 2005 bis 2009 das große Rad drehen konnte. Banken retten, Hedgefonds ärgern, über Banker lästern, sich im Kampf gegen Steuerflucht und Geldwäsche mit Briten, Schweizern und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy anlegen - so gefiel sich der kühle und blitzgescheite Hanseat mit dem lockeren Mundwerk, den nicht nur viele Genossen bisweilen auch als hochnäsig empfanden.

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Und der auch falsch lag. Im September 2008 etwa hatte Steinbrück im Bundestag - kurz nach der Mega-Pleite der US-Bank Lehman Brothers - als Optimismus predigender Finanzminister behauptet, von einer Rezession könne keine Rede sein. Ein kolossaler Irrtum, wie sich herausstellte.

Als Erfolg rechnen ihm dennoch viele an, wie er das Land zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) durch die Finanzkrise 2008/09 lotste. Beide verband ihr pragmatischer Zugang zur Politik, weshalb sie als Tandem gut funktionierten. Auch Steinbrück selbst ist zufrieden mit dem Krisenmanagement.

In Erinnerung bleibt sein Auftritt mit Merkel im Oktober 2008, als sie mit ernster Miene im Kanzleramt öffentlich garantierten, kein Sparer in Deutschland müsse auch nur um einen Euro seiner Einlagen fürchten. Das Beruhigungssignal war nötig, denn die Regierung befürchtete einen Ansturm an den Bankschaltern.

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Mit Milliarden Steuergeld wurden Banken gerettet und gestützt. Heute denkt Steinbrück, dass er die Spekulationswut der Branche stärker hätte eindämmen sollen: „Politisch bereue ich, dass ich in der Finanzkrise nicht nachdrücklich eine Zwangskapitalisierung der Banken in Deutschland - wie in den USA und Großbritannien - verfolgt habe.“

Auch mit 75 sieht sich Steinbrück nicht als Ruheständler - und verweist auf Funktionen und Tätigkeiten, etwa in Stiftungen und als Berater. „Aber die wiedergewonnene Zeitsouveränität und das Wiedererlernen des Wortes „Nein“ auf Anfragen und Erwartungen empfinde ich als Lebensqualität.“ Aktiv ist er etwa in einer Stiftung, die das Schachspiel in Kitas und Grundschulen fördert.

Steinbrück, der als etwa Sechsjähriger seine Liebe zum Schach entdeckte und Jahre auf einen ersten Sieg gegen seine unnachgiebige dänische Großmutter warten musste, misst sich heute mit Weltmeister Magnus Carlsen - aber nur mit dessen Computerprogramm „Play Magnus“, das die Spielweise des Großmeisters nachahmt. Um eine Chance zu haben, dimmt Steinbrück das Programm in der Spielstärke herunter und tritt gegen den erst elfjährigen virtuellen Magnus an - um dennoch „reihenweise Partien zu vergeigen“, wie er bekennt.

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Auch in der Politik hatte der passionierte Schach- und Billardspieler sowie Filmfan das Siegen nicht abonniert. Eigentlich hat Steinbrück nie eine wichtige Wahl gewonnen. Der erste richtige Sieg in einem Wahlamt war die zum SPD-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013. Dem war eine „Sturzgeburt“ bei der Kandidatenkür vorausgegangen, wie es Steinbrück im Buch „Vertagte Zukunft“ nannte. Sein Familie war gegen die Kandidatur und fühlte sich übergangen.

Es folgte ein Wahlkampf mit Pannen, Debatten über seine hohen Vortragshonorare, viel Häme und unglückliche, teils aufgebauschte Äußerungen, die Steinbrücks Popularität ramponierten. Als er einen Patzer seines Teams erklären musste, antwortete Steinbrück mit dem legendären Spruch „Hätte, hätte, Fahrradkette.“ Als Antwort auf die Frage, was er von Wortschöpfungen wie „Pannen-Peer“ halte, zeigte er im „SZ-Magazin“ den Stinkefinger. Er bekam zu spüren, dass klare Kante und Ironie nach hinten losgehen konnten. Als Kanzlerkandidat vermisste Steinbrück - der schon mal über die „Heulsusen“ in der SPD herzog - die von seiner Partei erbetene „Beinfreiheit“.

Steinbrück verlor krachend gegen Amtsinhaberin Merkel, holte mit 25,7 Prozent aber ein besseres Ergebnis als die Merkel-Herausforderer der Sozialdemokraten davor und danach - Frank-Walter Steinmeier (2009) und Martin Schulz (2017). Später nannte Steinbrück seine Kandidatur einen Fehler und sprach von Fehleinschätzungen. Er habe sich auch von seiner Beliebtheit als Klartext-Politiker blenden lassen.

Dabei hatte Steinbrück 2010 gesagt, ins Kanzleramt gehe er höchstens noch mal als Besucher. Seine Frau Gertrud, bis zur Pensionierung Lehrerin an einem Bonner Gymnasium, hatte ihrem Mann schon nach der Wahlniederlage als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen 2005 geraten, die politische Karriere zu beenden. Die begann 1974 mit Tätigkeiten in Bundesministerien und führte Steinbrück, der 1969 in die SPD eintrat, als Referent ins Bonner Bundeskanzleramt. Dort regierte Helmut Schmidt - der SPD-Altkanzler wurde zu einer prägenden Figur. Beide freundeten sich später an, spielten Schach, rauchten zusammen und schrieben das 2011 erschienene Buch „Zug um Zug“.

Von 1986 bis 1990 leitete Steinbrück, der in der Schule alles andere als ein Überflieger war und dort zwei Ehrenrunden drehen musste, das Büro von NRW-Ministerpräsident Johannes Rau. Anschließend war der Vater von drei erwachsenen Kindern bis 1998 in Kiel, unter anderem als Wirtschafts- und Verkehrsminister. Im Rückblick verbucht es Steinbrück heute als Erfolg, dass er gegen viele Widerstände in Kiel den Bau der Ostsee-Autobahn A20 vorantrieb. In Nordrhein-Westfalen stieg er 2002 zum Regierungschef bis Juni 2005 auf. Bundesweit und international bekannt wurde Steinbrück dann als Bundesfinanzminister.

Kritik kontert der Liebhaber britischen Humors, der gern Winston Churchill zitiert, mit der ihm eigenen ruppigen Art. Eine Schweizer Zeitung lobte Steinbrück als einen der originellsten deutschen Politiker. Kein Wunder, dass er nach seinem Abschied aus Politik und Bundestag im September 2016 nicht nur als Berater bei der ING Bank anheuerte, sondern mit dem Kabarettisten Florian Schröder auf Tour ging. An der SPD rieb er sich weiter. Nach Steinbrücks Analyse der Wahlniederlage 2017 in seinem Buch „Das Elend der Sozialdemokratie“ sprach mancher Genosse vom Nestbeschmutzer.

Mangelnden Realismus kann man Steinbrück nicht vorhalten: Zu Träumen befragt, sagte er einmal: „Ich möchte mal in einem Endspiel in Wimbledon stehen, einmal der Hauptdarsteller in einem Piratenfilm sein und mit Borussia Mönchengladbach Deutscher Meister werden - die Wahrscheinlichkeit dieser Wünsche tendiert leider gegen Null.“